Im Oktober vergangenen Jahres berichteten wir zum ersten Mal vom Deutschen Messingmuseum. Damals befand sich Museumsleiter Knud Schöber mitten in der fieberhaften Vorbereitung für die Eröffnung. Die konnte zuletzt endlich gefeiert werden – doch Schöbers Arbeit fängt damit erst an. Wie sie genau aussieht und welches ambitionierte Ziel er verfolgt, erklärte er uns im Anschluss an den spannenden Museumsrundgang.
CREVELT: Kurz nach Ausbruch der Pandemie in Deutschland wurden Sie zum Leiter des Deutschen Messingmuseums berufen. Wie haben Sie die Zeit der auferlegten öffentlichen Inaktivität genutzt?
Knud Schöber: Ich bitte um Nachsicht, aber die Pandemie und die Schließung öffentlicher Einrichtungen haben uns in die Karten gespielt. Wir hatten so die Zeit, direkt nach Gründung der gemeinnützigen Trägergesellschaft die baulichen Maßnahmen durchzuführen und die Ausstellungen vorzubereiten.
CREVELT: Knapp 20 Monate später ist die Ausstellung im DMM für Besucher geöffnet. Wie haben Sie das geschafft?
Schöber: Gute Vorbereitung ist alles. Die Fertigstellung der einzelnen Bauabschnitte verlief so reibungslos wie ein Puzzle, das zuletzt ein schönes Gesamtbild ergibt.
CREVELT: Provokante Frage: Warum braucht es noch ein Museum in Deutschland?
Schöber: Lassen Sie mich das konkretisieren: Es gibt etwas weniger als 7.000 Museen in Deutschland. Museen für angewandte Kunst als Spezialmuseen in privater Trägerschaft, so wie das DMM, das anhand seiner Exponate die soziokulturelle Entwicklung unserer Vorfahren darstellt, sind mir derzeit nicht bekannt. Als Spezialmuseum, das von einigen Ausnahmen abgesehen ausschließlich Exponate aus Messing zeigt, ist es einmalig in Deutschland und Europa.
CREVELT: Aber ist das nicht etwas langweilig? Immer der gleiche Werkstoff?
Schöber: Keineswegs! Zunächst muss man wissen, dass der Werkstoff eine Legierung aus Kupfer und Zink ist, deren Farbe je nach Mischungsverhältnis variiert. Messing ist außerdem einer der ältesten Werkstoffe und begleitet die Menschheit schon seit Jahrtausenden, weil es sich ausgezeichnet verarbeiten, gießen, trieben, hämmern und ziselieren lässt, dazu verformbar und hitzebeständig ist. Es ibt kaum einen Leibensbereich oder gar eine Branche, die in den letzten Jahrhunderten auf Messung verzichten konnte.
CREVELT: Messing ist zwar bekannt, aber aus dem präsenten Bewusstsein scheint es verschwunden zu sein…
Schöber: Genau da setzt die Philosophie des DMM an. Anhand des Werkstoffs Messing und der aus ihm hergestellten Objekte lässt sich die kunst- und kulturhistorische, aber vor allen Dingen auch die soziokulturelle Entwicklung der Menschen nachvollziehen. Das DMM ist eine Stätte der Bildung und des Wissens: Wir möchten die Lebensgewohnheiten unserer Vorfahren anhand unserer Exponate wieder aufleben lassen und dem Werkstoff Messing zu neuer Wertschätzung verhelfen. Ich sagte es schon: kein Bereich, in dem nicht mit Messing gearbeitet wurde.
CREVELT: Können Sie einige Bespiele nennen?
Schöber: Das DMM hat sich darauf spezialisiert, gehobenen Hausrat und Objekte der Tischkultur, die über die Jahrhunderte verwendet wurden, zu präsentieren. Im ersten Bereich des Museums sind auch Messingobjekte zu sehen, die zum Beispiel in der Optik, Nautik und Schifffahrt, Medizintechnik, Mess- und Regeltechnik, für cheische Anwendungen, Waagen und Wiegen, Berufskleidung, gebäudliche Ausstattungstechnik, Instrumentenbau, als Einrichtungsgegenstände und in Kirchen zur Anwendung kamen. Und mit dem Schaudepot „100! Schule des Sehens“ widmen wir uns anhand zahlreicher Exponate dem Thema Formensprache – „Design“ oder „Industriedesign“, wie man heute sagt.
CREVELT: Was genau muss man sich darunter vorstellen? Die Designformel aus der Mitte des letzten Jahrhunderts „Form follows function“ war doch immer das Credo bei der Produktentwicklung, oder?
Schöber: Das stimmt schon, aber wenn man in der „Schule des Sehens“ unseres Schaudepots zum Beispiel die 100 verschiedenen Teekannen betrachtet, die im Lauf von 300 Jahren vom Kupferschmied bis zum Industriedesigner entworfen wurden, dann weiß man: Der Spruch stimmt nicht so ganz. Eine Teekanne besteht streng genommen aus einem Hohlgefäß mit einem Henkel und einem Ausguss, aber diese Form wurde von jedem Künstler, Kupferschmied, Entwerfer und Designer anders interpretiert, sodass die unterschiedlichsten Formausprägungen festzustellen sind. Richtiger müsste es also heißen: „Form follows individual emotion.“
CREVELT: Gibt es weitere Schwerpunkte im DMM?
Schöber: In unserer ständigen Ausstellung zeigen wir einen Querschnitt durch die Gerätschaften der letzten Jahrhunderte zum Thema Küche, Kochen und Backen sowie zur Kulturgeschichte des Tee- und Kaffeetrinkens. Weiterhin bieten wir in unserer Dauerausstellung einen Überblick zu den Bereichen Schreibkultur, Rauchgeschirr sowie zu Wärmegeräten und Wärmespendern. Ein weiterer kleiner Bereich ist wechselnden Sonderausstellungen vorbehalten. Derzeit zeigen wir dort die Entwürfe von Johannes Cornelis Stoffels, eines Silberschmieds und Metallkünstlers um 1900. Er ist in Deutschland nahezu unbekannt, brachte aber bahnbrechende Entwürfe auf den Markt.
CREVELT: Wie viele Objekte zeigen Sie durchschnittlich in der Ausstellung?
Schöber: Derzeit zeigen wir über 600 Exponate. Wenn man sie betrachtet, hat man den Eindruck, dass es vom Lagerfeuer im Freien bis zum per Smartphone gesteuerten Induktionsherd einen nahtlosen Übergang gab. Dem ist natürlich nicht so. Mit unserer Ausstellung machen wir sichtbar, was dazwischen geschah. Auch unsere Besucher bestätigen uns immer wieder, dass sie sich gar nicht vorstellen konnten, mit wie viel Esprit und Lösungsorientiertheit die Menschen Aufgaben und Probleme vor Hunderten von Jahren gelöst haben.
CREVELT: Woher nehmen Sie das Wissen über Messing, seine Anwendung und Bedeutung?
Schöber: Das DMM erforscht systematisch Anwendungssituationen in den verschiedenen Nutzungsbereichen und ihre Entwicklung über einen langen Zeitraum. Mehr als 20 Fachautoren, Kunsthistoriker und Kuratoren sorgen für die Erkenntnisse, die in unseren Buchreihen veröffentlicht werden und dem Publikum zur Verfügung stehen. Unser Ziel ist es, den noch weitgehend unerforschten Bereich weiter zu beleuchten, der Allgemeinheit unser Wissen zur Verfügung zu stellen und ihr die Teilhabe an den Gebräuchen vergangener Generationen zu ermöglichen.
CREVELT: Nicht nur externe Forschung ist also wichtig, sondern auch die Arbeit vor Ort. Wie viele Mitarbeiter werden im DMM beschäftigt?
Schöber: Noch viel zu wenige, um das Thema „Messing“ kurz- oder mittelfristig abzuhandeln. Messing war über die Jahrhunderte absolutes Gebrauchsgut und wurde mit ganz wenigen Ausnahmen weder gekennzeichnet noch gemarkt. Mit bloßem Auge sind Ort und Zeit eines Objekt also nicht immer festzustellen. Daher sind wir ständig auf der Suche nach fachkundiger Hilfe, nach jungen Menschen, die ihr freiwilliges soziales Jahr der Forschung und der Betreuung des Museums widmen wollen, und freuen uns über Praktikanten und Volontäre, die uns bei unserer Arbeit unterstützen.
CREVELT: Welche Aufgabengebiete warten auf die Interessenten? Und gibt es zeitliche Vorgaben?
Schöber: Nein, zeitliche Vorgaben gibt es nicht. Jeder ist im Rahmen seiner Möglichkeiten willkommen und kann in die Abläufe integriert werden. Wissenschaftliche Arbeit, publizistische Tätigkeit oder Führungen durch das Museum sind einige der möglichen Tätigkeiten. Im Depot gilt es, eingehende Objekte zu begutachten, zu fotografieren, zu vermessen und dann in die Datenbank einzupflegen, sie in die entsprechenden Depotbehälter einzulagern und diese wiederum nach Objektgruppen und Gattungen zu sortieren. Eine Arbeit, in die wir den Besuchern bei Führungen auch Einblick geben.
CREVELT: Wie lange dauert eine solche Führung?
Schöber: Da jedes der Exponate eine eigene Geschichte zu erzählen hat, sind die Intensivführungen schon etwas länger. Die Standardführung, die jeweils Freitag und Samstag nach Voranmeldung um 14 Uhr stattfindet, dauert etwa eineinhalb bis zwei Stunden. Wir begreifen das DMM als lebendigen Ort des Entdeckens und Erlebens. Wir möchten mit den Besuchern einen Dialog führen, zu Fragen anregen – und diese dann natürlich auch beantworten.
CREVELT: Was wird derzeit im Schaudepot gezeigt?
Schöber: Im Schaudepot stellen wir aktuell über 80 Exponate des niederländischen Jugendstilkünstlers Jan Eisenloeffel aus, der ein Kollege von Johannes Cornelis Stoffels war. Der Vergleich der Formensprache der Exponate beider Künstler ist äußerst spannend!
CREVELT: Eine wichtige Frage bleibt noch: Über die Alleinstellungsmerkmale des DMM haben wir jetzt viel gehört. Aber worin liegt der tiefere Sinn gerade dieses Museums?
Schöber: Wir dürfen nicht vergessen, dass wir die Nachkommen unserer Vorgänger sind. Gleichzeitig jedoch auch die Vorgänger für unsere Nachkommen. Es ist unsere Aufgabe, zeitgeschichtliche oder soziokulturelle Entwicklung aufzuarbeiten und zu vermitteln, damit unsere Nachfolger die Zeit der Vorfahren und deren Lebensumstände nicht vergessen. Die Ausstellung ist somit auch als kleine Erinnerung an die heute Lebenden zu verstehen, sich stets des verpflichtenden Erbes einer gemeinsamen Vergangenheit bewusst zu werden.
Deutsches Messingmuseum für angewandte Kunst
Medienstr. 35
47807 Krefeld
Telefon: 02151 – 936380-8
www.deutsches-messing-museum.gallery
Fotos: Luis Nelsen